Sonntag, 15. September 2019

Konzert 2019.17: Boytronic

7.9.2019, Orwohaus Berlin
Support: Distain!

Der eigentliche Grund warum ich nach Berlin gereist bin, war dieser legendäre abend. Legendär, egal wie es werden würde, denn eine meiner größten musikalischen Inspirationen trat tatsächlich wieder live auf. Zwar „nur“ mit Original Sänger Holger Wobker, aber genau das ist das Besondere. Jahrelang gab es Streit um die Namensrechte der Band und es traten zuletzt diverse andere Künstler unter dem Bandnamen auf. Zuletzt tourte Boytronic mit dem Sänger und „Britalo-Disco-Fan“ James Knights durch Deutschland und interpretierten in erster Linie Titel des legendären Debuts „The working model“ inkl. der Hits You, Diamonds and loving arms, Luna Square oder Man in a uniform vom nahezu genauso genialen zweiten Album „The continental“. Das Konzert damals war garnicht mal schlecht, aber es fehlte halt die Stimme von Holger Wobker.

Es schlug bei den Fans ein wie eine Bombe, als Holger Wobker verkündete, dass er mit Hilfe der Musik-Crowdfundingplattform Pledge, an einem neuen „echten“ Boytronic Album arbeiten würde. Und zwar zusammen mit James Knights. Auch Live-Konzerte kündigte er an. Natürlich stürzte ich mich sofort auf Pledge um dieses Projekt zu unterstützen. Ich „kaufte“ die signierte limitierte CD des Albums „The robot threatment“, die im Frühjahr 2019, begleitet von einer Tour, erscheinen sollte. Dann kam die Hiobs-Botschaft: Pledge ist pleite und alle Künstler und Fans haben ihr Geld verloren. Kurze Zeit musste man bangen, ob das ganze Projekt nun scheitern muss. Zum Glück verkündeten Holger und James, dass sie das Album trotzdem machen und Anfang September 2019 mit einer „Releaseparty mit Konzert in Berlin“ erscheinen soll. Da keine Rede mehr von Tour war, musste ich da hin. Also habe ich direkt Tickets gekauft.

Das neue Album kam dann ca. 1 Woche vor dem Konzert raus und ich möchte hier noch eine kurze Rezension loswerden. Durch die Mitwirkung von James Knights, war zu erwarten, dass seine Einflüsse im Italo Disco Style einfließen würden. Für meinen Geschmack allerdings etwas zu sehr. Das melancholisch/aggressive, das die markante Stimme und den Sound von Boytronic ausgemacht hat, wich einem unbeschwerten Italodisco Pop. Das Album ist gut und ich freue mich Holgers Stimme wieder zu hören, aber es ist nach den bereits genannten genialen Wobker-Werken aus den Achtzigern und dem dusteren 2002 erschienen Hammer-Wobker-Comeback „Autotunes“ einfach etwas flach und belanglos. Zwar ist kein Song auf dem Album schlecht, aber es sticht auch kaum einer richtig heraus.

Insofern hoffte ich natürlich auf möglichst wenige neue Tracks und auf viele alte Werke. Nach der etwas enttäuschenden Live-Darbietung von Propaganda am Vorabend, war ich nun sehr gespannt darauf, was die beiden Jungs live machen würden. Ich hatte es nämlich so verstanden, dass sie eigentlich nicht mit Computern und virtuellen Synths arbeiten, sondern nur mit „echten“.

Zunächst aber zur inzwischen auf ein Duo geschrumpften Vorgruppe Distain!, die ich ebenfalls sehr mag und die ich noch nie live gesehen hatte. Und das, obwohl ich alle ihre Alben habe (inzwischen immerhin 9 oder 10 Stück) und ich sie für eine der besten deutsche Synthpop-Bands der letzten 20 Jahre halte. Besonders die ersten 3 Alben habe ich seinerzeit rauf und runter gehört. Entsprechend glücklich war ich also üner die perfekte Song-Auswahl mit sehr vielen Stücken dieser alten Meisterwerke. Auch wenn man mal wieder nicht sicher sein konnte, ob der Keyboarder hinter dem Laptopop irgendetwas musikalisches tut oder seinen Facebook-Account pflegt, war der Auftritt sehr gut. Das lag vor allem an den beiden Sängern, die abwechselnd, bzw. oft gemeinsam im Duett, sehr gut unterhalten haben. Der Auftakt war also schonmal sehr gut...







Dann war es endlich so weit: Das Intro ertönte. Ich meine X-Rated phonecalls rausgehört zu haben (B-Seite von der 84er Single Man in the uniform).
Es betraten neben den Herrn Wobker und Knights 1 weiterer Protagonist die Bühne. Während James damit beschäftigt war, die ursprünglich weiblichen Backingvocals zu performen und dabei einen Plastikbecher festzuhalten, musste der unbekannte Dritte eigentlich alles machen, was irgendwie mit der Musik zu tun hatte. Das tat er relativ gut und ich glaube, er hat sogar relativ viel live gemacht. Ein weiterer Keyboarder hätte dem ganzen allerdings sehr gut getan. Und Holger Wobker? Tja, was soll ich sagen: Er ist kein begnadeter Sänger, aber seine Stimme und seine Präsenz ist beeindruckend. Und wenn ich jetzt sage, dass er wie eine absolute Obertunte tanzt und singt, meine ich das nicht negativ, sondern sehr respektvoll, da es authentisch ist. Hin und wieder vergaß Holger seinen Einsatz oder seinen Text und er wirkte extrem nervös. Aber er war seeehr sympathisch und man merkte, daß er trotzdem viel Spaß auf der Bühne hatte. Und das sprang auch aufs Publikum über...

Leider finde ich keine Setlist im Netz, aber ich kann mich an folgende Songs erinnern: Tonight, Man in the uniform, You, Trigger Track, Diamonds and loving arms, Red Chips, Luna Square, Recycled, I want to live in harmony und vom neuen Album all you can eat, she gave me money, Venus covers Mars, No sad songs, Smell of fire + 1, an das ich mich genau erinnere. Für meinen Geschmack also zuviel neue Titel und einige wichtige „Alte“ fehlten. So hätte ich gerne noch Hurts, Latenight Satellite, Hold On, Forever, Photographs und etwas vom Album Autotunes (z.B. The Wire, In die Dunkelheit, How soon oder a song for the lonely) gehört. Einer der 4 Tracks von „Maxi“ wäre natürlich der Hammer gewesen (z.B. Am Tag als der Regen kam). Aber OK, sie wollten natürlich das neue Material vorstellen, das live erstaunlich gut ankam. Ich fand die neuen Titel auch live deutlich schwächer als die alten Klassiker...

Ein Wort noch zu der Location: Ein Plattenbau mitten im Nirgendwo kurz vor Marzahn. Hier will ich weder tot überm Zaun hängen, noch nachts nach einem Konzert alleine zur nächsten S-Bahn-Station laufen. Trotzdem war es irgendwie cool. Aus den offenen Fenstern hörte man diverse Bands, die hier scheinbar einen Übungsraum haben. Es ist eine hervorragende Film-Location...



























Samstag, 14. September 2019

Konzert 2019.16: D:uel (Propaganda)

6.9.2019, Columbia Theater Berlin

Nach einer kleinen Konzertpause, in der ich zu 2 Konzerten leider nicht gehen konnte (Rational Youth/Psyche wegen wichtigerem Termin und M.I.N.E wegen Krankheit), ging es nun gleich im Doppelpack weiter. Und das auch noch in Berlin. Claudia Brücken und Susanne Freytag waren die Stimmen von Propaganda und die Damen begeisterten mich beim 80er Festival in Bochum mit ihrem Kurzauftritt so sehr, dass ich unbedingt das komplette Konzert sehen wollte. In diesem Fall mit geringem Risiko, denn die Band hat nur ein Album gemacht (zumindest mit den beiden Mädels) und das finde ich bis heute eines der genialsten und vollständigsten Alben der Achtziger. Es war klar: Es wird kurz und alle Songs sind gut. Einzige Fragen: Wie ist die Umsetzung einzelner Titel live und für welche Visuals entscheiden sie sich.

Die zweite Frage ist schnell beantwortet: Visuals gab es keine. Im Gegensatz zum Bochumer Auftritt gab es keine Dias, sondern ein bisserl Licht. Das war schon etwas schwach, denn die begnadeten Performer sind die mittlerwele Mittfünfziger Damen nicht unbedingt.

Die erste Grage ist auch relativ schnell beantwortet: Live kamen alle songs fast originalgetreu rüber und der Gesang war super. Was wäre aber ein Konzert-Post von mir ohne Gemecker? Wer das Album kennt, weiß, dass es viele Instrumentalpassagen gibt und der Gesang eigentlich nur von Claudia Brücken kommt. Susanne Freytag ist nur fürs Schreien und „Sprechen“ zuständig. Entsprechend oft hatten die beiden nicht viel zu tun, was dazu führte, dass sie entweder grinsend rumstanden oder sich mit sinnlosem, weil nicht hörbarem, gekloppe auf E-Drums beschäftigten. Vor allem Frau Freytag fiel damit unangenehm auf, denn meines Erachtens hat sie garnix live gespielt. Wenn, dann so leise rumtergepegelt, dass ein „Verspieler“ nicht auffällt. OK, das war bereits 1986 so, als ich sie in der Frankfurter Music-Hall gesehen habe, aber die Songs haben durchaus Potenzial für Percussion-Einlagen mit E-Drums.

Der ünerflüssige Einsatz einer Gitarre vom zweiten Keyboarder hat mich nicht so sehr gestört, da man sie kaum hehört hat. Jedoch hätte ich gerne mehr Synths live gespielt gehört, denn der Großteil kam aus dem Laptop. Das ist zwar mittlerweile üblich, aber es geht auch anders. Ich finde, die Bands machen es sich hier zu einfach. Es kann nicht zu schwer sein, einen Keyboarder zusätzlich auf die Bühne zu stellen, der hin und wieder einzelne Melodien live zusätzlich spielt.

Insgesamt zwar ein schönes Konzert mit viel Nostalgie, aber sachlich gesehen, mit ca. 60 Minuten zu kurz, zu viel Playback und zu wenig Show und mit über 40€ zu teuer. Als Zugabe hätten sie ja noch ein paar Solotitel von Claudia Brücken oder vwelche von ihren Projekten Act oder OneTwo spielen können. Das hätte gut gepasst...